Irgendetwas läuft schief...

Als Anwohner*innen in der Nachbarschaft zum sogen. Dragonerareal machen wir uns seit längerem kritische Gedanken zu den Entwicklungen auf dem Areal.
Dazu haben wir einen Text erstellt und können den Text auf der Webseite von der Stadtteilinitiative WEM GEHÖRT KREUZBERG veröffentlichen. Wir möchten unsere Positionen in Pandemiezeiten einem größeren Kreis zugänglich machen:

In der stadtpolitischen Öffentlichkeit wird immer wieder das Bild gesetzt, dass die gegenwärtigen Entwicklungen auf dem sogen. Dragoner Areal von einer breiten Zustimmung der „Zivilgesellschaft“ getragen werden.
Aber gibt es diese breite Zustimmung überhaupt?

In Gesprächen mit Nachbar*innen oder stadtteilpolitische Aktive hören wir immer häufiger, dass das Beteiligungsverfahren zum sogen. Dragoner Areal viel Kritik hervorruft, andere Ideen und Umsetzungen für das Areal bevorzugt werden — ob aus stadtpolitischer Sicht, aus ökologischer Sicht und auch in Bezug zum Beteiligungsverfahren überhaupt.

Seit 2017 läuft zum sogen. Dragoner Areal ein umfangreiches und finanziell gut ausgestattetes Beteiligungsverfahren. Der stadtpolitische Widerstand gegen die Privatisierung und Verwertung des öffentlichen Geländes wurde weitestgehend kanalisiert und der jetzige Weg wird als alternativlos verkauft.
Gemeinwohlorientierung, Kooperationsvereinbarung, Zukunftsrat, Zusammenstelle, aufsuchende Beteiligung, Community Building und viele andere Schlagwörter sollen den harmonischen Einklang zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung auf dem Weg zu einem „Modellprojekt“ auf dem Areal hervorheben.
Ausgestattet mit öffentlichen Geldern, dem Fachwissen vieler „Expert*innen“ und bezahlten Stellen soll ein „stadtpolitisches Biotop“ geschaffen werden, als politisches Zeichen eines breiten gemeinsamen Aktes gegen die fortschreitende Gentrifizierung in dieser Stadt.

In diesem öffentlichen Bild tauchen natürlich andere Blickwinkel und Meinungen zu diesen Entwicklungen nicht auf:
  • nicht alle Nachbar*innen, stadtteilpolitische Aktive, Kiezinitiativen sehen im Beteiligungsverfahren eine wirkliche Möglichkeit für eine authentische emanzipatorische, selbstbestimmte, gleichwertige Diskussion, Auseinandersetzung und Gestaltung. Ein Beteiligungsverfahren verschleiert die unterschiedlichen Interessen, Verantwortlichkeiten, Machtpositionen der verschieden Akteur*innen. Es bedient alte und schafft neue Interessensgruppen, Expert*innen und Geldtöpfe. Hierarchien bleiben und bestimmen gleichzeitig die Ab- bzw. Aufwertung bestimmter Handlungsfähigkeiten und -möglichkeiten.
  • das Beteiligungsverfahren, aber vor allem die aufgestellten Zielsetzungen für das sogen. Dragoner Areal relativieren die Realitäten des Mietenwahnsinns und Verdrängung im Stadtteil, in der Stadt. Ein „Modellprojekt“ soll als politischer Akt gegen diese allgegenwärtige und massive Verdrängungs- und Verwertungsökonomie herhalten. Als ob die offiziellen Beteiligten in diesem Beteiligungsverfahren überhaupt keine Mitverantwortung für Mietenspekulation, Umwandlung in Eigentum, Verdrängung hätten – wie die „Landes-Politik“, „Bezirkspolitik“, Berliner Immobilien Management (BIM), Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM).
  • das Beteiligungsverfahren verschweigt, dass sich viele Menschen im Stadtteil eine andere Diskussion für das Areal wünschen. Sie sehen das Areal als einen einzigartigen Ort für Kleingewerbe, Nachbarschaftsbegegnungen, unkommerziellen Nutzungen mit vielen Freiflächen an. Sie sehen, dass ringsum alles mit Luxusneubau für Eigentümer*innen oder viel zu teure Mietwohnungen mit Glas und Beton verdichtet wird, der Autoverkehr zunimmt, die Nachbar*innen für Spekulationsgewinne entmietet werden.
  • die Beteiligungsakteur*innen bejubeln die ökologische Handschrift des städtebaulichen Wettbewerbes. Die Entsiegelung — was eher durch die gegenwärtige Spontanvegetation passiert — muss als ökologisches Alibi herhalten, damit unökologischer massiver Betonneubau, Frischluftschneisen-Vernichtung und die Vernichtung einer weiteren, für eine Stadt ungemein wichtige Freifläche „kooperativ“, „gemeinwohlorientierend“ und „zivilgesellschaftlich“ vollzogen werden kann.
Zu vielen dieser Sichtweisen gäbe es eine Menge zu sagen.
Wir sprechen mit diesem Text nur einige Diskussionspunkte an. Vielleicht fühlt sich die eine oder der andere aber dadurch angeregt, einzelne Sichtweisen zu vertiefen oder zu einzelnen Diskussionspunkten ihren/ seinen Beitrag zu erzählen.

Nachbar*innen aus Kreuzberg 61